Nachhaltigkeit messbar machen.

Banken sind als Intermediäre der globalen Klimapolitik gefordert – jetzt gilt es die nötigen Datenstrukturen aufzubauen, um die Transformation zu unterstützen.

Seit dem Beschluss des Pariser Klimaabkommens sind die Dichte an ESG-fokussierter Regulierung für die Finanzbranche sowie politische und gesellschaftliche Erwartungen kontinuierlich gestiegen. Die klassische Rolle einer Bank als Finanzintermediär für die Realwirtschaft erweitert sich zu der eines Katalysators der privatwirtschaftlich finanzierten Transformation hin zu einer 1,5-Grad-Welt. Hierfür benötigen Banken geeignete Daten und Methoden, sowohl um initial Transparenz zu schaffen als auch um sukzessive eine aktive Steuerung aufzubauen: Es gilt Nachhaltigkeit messbar zu machen.

Daten als Herausforderung

Die Zwischenbilanz der ESG-Implementierungen fällt allerdings gemischt aus: Zwar steht Klimaschutz bei nahezu allen Instituten mittlerweile hoch auf der strategischen Agenda, Einschränkungen bei Datenverfügbarkeit und -qualität erschweren aber vor allem kleineren Instituten eine strategisch ausgerichtete ESG-Steuerung. Das könnte sich in den nächsten Jahren ändern, denn mit den kommenden Berichtspflichten gemäß der Corporate Sustainability Reporting Directive – kurz CSRD – müssen auch kleinere Unternehmen zu ESG-Themen berichten. Finanzinstitute, die sich im Aufbau einer Nachhaltigkeitsstrategie befinden, sollten sich zunächst auf einige grundlegende Fragen konzentrieren: Wie können die zum Teil neu generierten Daten genutzt werden, um ESG-Strategien und Geschäftsprozesse daran auszurichten? Welche Grundlagenarbeit müssen Banken vorher erledigen? Und wie können sie diesen Veränderungsprozess steuern?

Organisatorische Verankerung

Um ESG-Daten sinnvoll definieren, erheben und Mehrwert stiftend nutzen zu können, muss das Thema Nachhaltigkeit grundsätzlich verortet und mit Ressourcen ausgestattet sein. Im Bewusstsein, dass Nachhaltigkeit ein dauerhaftes, strategisches Top-Thema ist, wurden in der DZ BANK beispielsweise frühzeitig die Weichen für eine organisatorische Verankerung gestellt. Entlang einer flexiblen, mitwachsenden Struktur wurden sowohl in der Linienorganisation Kapazitäten aufgebaut als auch eine projekthafte Auseinandersetzung mit dem Thema angelegt. Zwei Teams in der Konzernstrategie fokussieren sich heute auf strategische und methodische Fragen sowie auf das Reporting und Stakeholdermanagement; weitere dezentrale Teams kümmern sich zum Beispiel um das Risikomanagement im ESG-Kontext. Auf der Projektseite ist die mit ca. 50 Kolleginnen und Kollegen gestartete Task Force zu einem Programm mit sechs Projekten und ca. 200 involvierten Mitarbeitenden angewachsen. So ist Nachhaltigkeit für viele zu einem festen Bestandteil ihrer täglichen Arbeit geworden. Neben der individuellen Verankerung in den Gruppenunternehmen wurde auch die Governance-Struktur auf Konzernebene weiterentwickelt und mit dem Group Sustainability Committee ein auf Nachhaltigkeit fokussiertes Gremium auf Vorstandsebene etabliert.

Systematisierung von ESG-Metriken

Einhergehend mit der Schaffung organisatorischer Strukturen und Verantwortlichkeiten empfiehlt sich die Aufstellung einer individuellen Landkarte zur Systematisierung relevanter ESG-Metriken entlang verschiedener Merkmale: (1) Anforderungsquelle: Handelt es sich um eine regulatorisch verpflichtend vorgegebene Kennzahl (z. B. Green Asset Ration gemäß EU-Taxonomie) oder eine individuell gestaltbare Methode, die etwa zur Erfüllung eingegangener Selbstverpflichtungen eingesetzt wird (z. B. Analyse der eigenen Beiträge zu den Sustainable Development Goals der Vereinten Nationen, die sogenannte SDG-Klassifizierung)? (2) Dimension: Zielt die Metrik auf die Wirkungsperspektive (z. B. bei Kreditnehmern finanzierte CO2-Emissionen) oder die Risikoperspektive (z. B. ESG-Risikoscore zur Integration physischer und transitorischer Risiken in der Kreditentscheidung) ab? (3) Klassifizierungsgegenstand: Was wird mit der Methode betrachtet (z. B. klassisches Kredit- , Wertpapier- oder Handelsgeschäft)? (4) Referenzwert: In welcher Einheit liegt die Kennzahl vor (z. B. Abstand zum Zielpfad, Ratingnote oder -scorewert) und welche  Orientierungspunkte bestehen für eine Zielsetzung (z. B. Kompatibilität mit globalem 1,5-Grad-Ziel)?

Den Fokus setzen

Auf die Systematisierung der relevanten Nachhaltigkeitsmetriken folgt angesichts der Komplexität und Vielfalt an Methoden unweigerlich die Notwendigkeit zur Priorisierung. Dabei sind die Erwartungen des Regulators ein offensichtliches Kriterium. So integriert die EZB den Umgang mit Klima- und Umweltrisiken in ihren Prüfprozess. Weitere Orientierungspunkte sollten jedoch das strategische Selbstverständnis des jeweiligen Hauses sein, aber auch Synergieeffekte zwischen verschiedenen Methoden. Die im Rahmen der SDG-Klassifizierung der DZ BANK erhobenen sogenannten Aktivitätensplits – also die analytische Aufteilung der Geschäftsaktivitäten eines Kunden hinsichtlich unterschiedlicher Nachhaltigkeitswirkungen – bilden beispielweise einen wesentlichen Input für die Analyse der finanzierten CO2-Emmissionen.

Bei aller Fülle an Nachhaltigkeitsinformationen, die aufgrund neuer und künftiger EU-Gesetze veröffentlicht werden, wird sich der Fortschritt des Privatsektors vor allem an der Erfüllung der Ziele des Pariser Klimaabkommens messen. Als zweitgrößte Bank Deutschlands hat die DZ BANK den Anspruch an sich formuliert, die Transformation der Wirtschaft hin zu mehr Nachhaltigkeit zu begleiten. Die Anstrengungen im Geschäftsportfolio zielen daher auf treibhausgasintensive Industriesektoren wie beispielsweise Automobil und Energieerzeugung ab. Diese Sektor-Logik wird unter anderem auch von der European Banking Authority (EBA) aufgegriffen. Sie hat die Weichen gestellt, dass Finanzinstitute ab 2024 halbjährlich ihre finanzierten Emissionen und Dekarbonisierungspfade für acht Sektoren offenlegen müssen. Damit werden Reduktionsziele zwischen Finanzinstituten vergleichbarer. 

Integrierte Betrachtung

Die DZ BANK hat vor diesem Hintergrund im vergangenen Jahr sogenannte Sektorsprints durchgeführt. Dabei wurden verschiedene Sichtweisen integriert betrachtet und neben der Risiko- auch die Wirkungsperspektive untersucht. Die umfassende Auseinandersetzung in den Sektorsprints ging also über regulatorische Anforderungen hinaus. Sie trägt dem Umstand Rechnung, dass klimarelevante Industriesektoren in hohem Maße Sektorspezifika aufweisen und eine Transformation abhängig von der Entwicklung CO2-ärmerer Produktionsmethoden oder Technologien ist. Am Ende jedes Sprints steht eine Liste mit Geschäftsopportunitäten, ausgehend vom aktuellen Kundenportfolio, eine quantitative Bewertung der Klima- und Umweltrisiken der Engagements im Sektor und als zentrale ESG-Kennzahl ein Zielpfad für die mittel- und langfristige Dekarbonisierung des Portfolios.

Die tiefgreifende Analyse sowie die abgeleiteten Pfade bilden den Schlüssel zur ESG-Steuerung. Erst im Zusammenspiel der Methoden wird Nachhaltigkeit messbar: Der ESG-Risikoscore hilft der Bank, Kreditanfragen etwa mit Blick auf Klima- und Umweltrisiken adäquat einzuwerten. Die Analyse finanzierter bzw. relativer physischer Emissionsintensitäten ermöglicht die Portfoliosteuerung zur Einhaltung definierter Zielpfade. Letztlich komplementiert die Analyse der mit einem Geschäft verbundenen Wirkungen auf die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen das Bild auch mit Blick auf die Dimensionen Soziales und Governance. 

Fazit

Banken leisten im Umgang mit neu geforderten und eigenes entwickelten ESG-Kennzahlen Grundlagenarbeit. Doch diese Transparenz ist für eine aktive Steuerung unerlässlich. Mit Blick auf das regulatorische sowie Markt- und Methodenumfeld, in dem sich die Anforderungen weiter dynamisch entwickeln, ist die Steuerung von Nachhaltigkeit mittels dieser Metriken noch mit hohen Unsicherheiten behaftet. Für eine erfolgreiche Umsetzung der eigenen Nachhaltigkeitsstrategie gilt es daher flexibel zu bleiben und Vorgehensweisen, Prioritäten und Themen stets neu zu bewerten. Die Strukturarbeit im Hinblick auf Organisation und Daten bilden eine wichtige Grundlage, um ESG-Strategien und Geschäftsprozesse an aktuelle Entwicklungen und den Fortschritt des ESG-Datenumfeldes kontinuierlich anpassen zu können. Der wirkliche Mehrwert der vielfältigen ESG-Methoden und -Daten kann sich dabei nur im Zusammenspiel dieser entfalten.  

Autoren: Dr. Nicole Schmidt & Dr. Fabian Max Wendel (erschienen am 09. Februar 2023 in der Börsenzeitung)

Ihnen hat der Artikel gefallen?
Lesen Sie mehr zu diesem Thema.

Finden Sie mehr auf unseren Themenseiten!

Ihre Auswahl